Freitag, 1. Januar 2010

Donnerstag, 31. Dezember 2009

PROSIT 2010

In der Neujahrsnacht

Die Kirchturmglocke
schlägt zwölfmal Bumm.
Das alte Jahr ist wieder mal um.
Die Menschen können sich in den Gassen
vor lauter Übermut gar nicht mehr fassen.
Sie singen und springen umher wie die Flöhe
und werfen die Mützen in die Höhe.
Der Schornsteinfegergeselle Schwerzlich
küsst Konditor Krause recht herzlich.
Der alte Gendarm brummt heute sogar
ein freundliches: Prosit zum neuen Jahr.

(Joachim Ringelnatz)

Mittwoch, 30. Dezember 2009

hinterhof.labyrinth

nightly flames

Die Milde der nächtlichen Flamme in fernen
Häusern,
Die Heime der anderen, nur mehr menschliche
Sterne in der Nacht,
Das grenzenlose Glück, andere von fern zu sehen.

(Fernando Pessoa)

Herberge

Ich vergöttere alle Dinge,
Und mein Herz ist eine Herberge, offen die
ganze Nacht.
Am Leben habe ich ein gieriges Interesse,
Das sucht, es heftig fühlend zu verstehen.
Ich liebe alles, belebe alles, vermenschliche alles,
Menschen und Maschinen, Steine und Seelen,
Um auf diese Weise mein Ich zu mehren.
Um mir selbst immer mehr zu gehören, gehöre
ich allem an,
Und am liebsten trüge ich die Welt auf dem Arm,
Wie ein Kind, das die Amme küßt.

(Fernando Pessoa)

hallucination

Letzten Endes reist man am besten, indem man
fühlt. Alles auf alle Weise fühlt.
Alles im Übermaß fühlt.
Denn alle Dinge sind, genau genommen, maßlos.
Und die gesamte Wirklichkeit ist etwas Maßloses,
etwas Gewaltsames,
Eine überdeutliche Sinnestäuschung,
Die wir alle gemeinsam im Rausch der Seele
erleben,
Im Mittelpunkt, dem die seltsamen zentrifugalen
Kräfte zustreben,
Die menschlichen Psychen im Einklang ihrer Sinne.

(Fernando Pessoa)

shade lady

nameless

stones & colours

vis-à-vis

Sonntag, 27. Dezember 2009

schreiben

Das Schreiben verursacht auch
Betriebskosten, mehr und beängstigendere
als eine ganze Fabrik.
Was man aufwenden muß?
Das ganze Leben.

(Sándor Márai)

Berührungen

Sind so kleine Hände


Sind so kleine Hände, winz'ge Finger dran.
Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann.

Sind so kleine Füße mit so kleinen Zeh'n.
Darf man nie drauftreten, könn' sie sonst nicht geh'n.

Sind so kleine Ohren, scharf und ihr erlaubt.
Darf man nie zerbrüllen, werden davon taub.

Sind so schöne Münder, sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten, kommt sonst nichts mehr raus.

Sind so klare Augen, die noch alles seh'n.
Darf man nie verbinden, könn'n sie nichts versteh'n

Sind so kleine Seelen, offen und ganz frei.
Darf man niemals quälen, geh'n kaputt dabei.

Ist so'n kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht.

Grade, klare Menschen wär'n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat hab'n wir schon zuviel

(Bettina Wegner)

think nothing

Ich habe das Christkind gesehen

Heut' Nacht hab ich das Christkind geseh'n.

Ihr werdet es nicht glauben, es ist zu mir
gekommen, als ich meine letzte Zigarette
geraucht habe.

Zuerst war es ein Hund aus Schnee, der
jetzt vor der Tür Wache hält, gerade von
Tinas Bob abgestiegen.

Heute Nacht hab ich das Christkind geseh'n,
beim Überziehen der Decken und Polster,
die uns in den nächsten Tagen wärmen
werden. Es hat mir zugelächelt, und meinen
Geschichten gelauscht.

Ich habe das Christkind geseh'n, es hat mir
einen Clown geschenkt, der mich begleiten
wird, und immer an diesen ersten schönen
Abend erinnern wird.

Überall war es dabei, beim Essen, Abwaschen,
hinter jeder Ecke hat es hervorgelugt, manchmal
mit erhobenem Zeigefinger, mit einem Witz,
Schrei, Weinen.

Es hat so viele Gesichter.

Gespieben hat es auch, und am Feuer war es
unter uns, ich glaube, nur um zu sehen, wie
fröhlich wir sind.

Ich habe immer gedacht, es kann nie müde
werden, aber auch das habe ich heut' Nacht
erlebt.

Gerade jetzt streicht es um meine Füße.

Ihr werde es nicht glauben, es trinkt sogar Wein.

Aber dass es patschert ist, hab ich nicht gewußt,
hat es sich doch beim Nachlegen, glatt den Zeh
verbrannt.

Ich habe heut' Nacht das Christkind geseh'n, und es
hat viele Namen: Isa, Herwig, Michi, Maja, Helmut,
Detlef, Maria, Julia, Helmut, Mutti, Tina, Sabine und
Dany.

Heut' Nacht hat mich das Christkind besucht, und
hat mir sehr, sehr viele Geschenke gebracht.